Zunächst einmal eine Anmerkung zum letzten Eintrag: ein impfskeptischer Geimpfter? Nun, das ist gar nicht so schwer zu erklären. Ein Skeptiker ist ein zu Skepsis neigender Mensch. Ein Skeptiker (von griechisch skeptikós) ist wörtlich übersetzt ein Ausschauhaltender oder Untersuchender. Oder mit dem griechischen Verb gesprochen: er bzw. sie späht, betrachtet, erwägt, prüft. Als Naturwissenschaftler habe ich gelernt, dass diese Haltung eminent wichtig ist. Man ist geradezu verpflichtet zum Zweifeln. Wenn man nicht kritisch ist, kann man nicht „kritein“, also beurteilen, sondern bleibt in seinen Vorurteilen hängen. (Sorry für diesen Ausflug ins Altgriechische).
Wir dürfen und sollen Vorteile und Nachteile, Risiken und Chancen abwägen. Und so ergab sich für mich das Ergebnis eines impfskeptischen Geimpften.
Individuelle Freiheit
Die individuelle Freiheit des Bürgers ist ein hohes Gut. Diese Freiheit sichern die Rechte im Grundgesetz. Sie dienen dem Einzelnen dazu, seine sozialen Interessen zu verfolgen. Im Rahmen der Entfaltung der Persönlichkeit dienen sie tendenziell eher dem Individuum als der Allgemeinheit. Wenn der Staat diese Freiheitsrechte einschränkt, so begibt er sich in Gefahr die Gesellschaft zu spalten oder die Identifizierung etlicher mit dem Staat zu riskieren (typische Beispiele: Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit).
Haben diese Grundwerte der Demokratie ihre Grenzen? Der Staat kann Grundrechte – nur wenn das Grundgesetz es ausdrücklich erwähnt – durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes einschränken. Hier lohnt sich ein Blick in Artikel 2 unseres Grundgesetzes:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Dieser Artikel hat seit 1949 denselben Wortlaut. Absatz 2 macht also klar, dass ein Infektionsschutzgesetz an sich nicht verfassungswidrig ist. Es wird erkennbar, dass Einschränkungen in gesundheitlichen Notlagen für uns als einzelne Bürger in einer demokratischen Gesellschaft mit diesem Grundgesetz grundsätzlich hinzunehmen sind (wenn sie verhältnismäßig sind). Nun wird – zu Recht – viel darüber gestritten, welche Maßnahmen vertretbar, gut, angemessen, inakzeptabel sind. Ich bin ein Anhänger des Prinzips „so wenig Einschränkung wie möglich“. Aber es gilt meines Erachtens eben auch „so viel Einschränkung wie nötig“.
An die anderen denken
Ich bin kein Politiker, ich habe auch nicht den vollen Überblick, um behaupten zu können, was richtig ist, was man darf oder sollte. Daher möchte ich eher auf der ethisch-moralischen Ebene argumentieren.
Zunächst einmal gilt: wenn das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ gesichert werden soll, sollte jeder Mensch in unserem Lande selbst entscheiden können, ob er sich gegen SARS-CoV-2 impfen lässt oder nicht („Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“).
Als geimpfter Impfskeptiker habe ich mich ja zum Thema Impfung und Impfstoff bereits geäußert. Es sind persönliche Vorteile und Nachteile, Risiken und Chancen abzuwägen.
In unserem Grundrechtsartikel heißt es aber auch weiterhin: „…Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt…“). In einer Infektionswelle wie der derzeitigen mit Rekordzahlen an Infektionen sollten wir nochmal nachdenken, ob es bei der Impfentscheidung dann nach wie vor allein um die Abwägung der persönlichen Vorteile und Nachteile, Risiken und Chancen geht. Das Solidaritätsprinzip bedeutet ja, dass ein Bürger nicht allein für sich verantwortlich ist, sondern sich die Mitglieder der Gesellschaft gegenseitig Hilfe und Unterstützung gewähren.
Gemäß dem Tagesreport des DIVI-Intensivregister (www.intensivregister.de) vom 26.11.2021 sind nur noch 10 % der intensivmedizinischen Betten in Deutschland nicht belegt. Zwanzig Tage zuvor waren es noch 12%. Da in den Intensivstationen mehr Ungeimpfte als Geimpfte in Corona-Behandlung sind, möchte ich dazu ermuntern zu betrachten, ob nicht persönliche Bedenken bezüglich der Impfung – auch gegenüber dem Staat oder der Pharmaindustrie – dem Allgemeinwohl untergeordnet werden können oder sollten – ungewohnte Gedanken in unserer Zeit.
Es gibt auch das Argument, dass ja das Gesundheitssystem selbst schuld sei, denn die Anzahl der Intensivbetten sei in den letzten Jahren reduziert worden. Die Reduzierung hat tatsächlich stattgefunden. Nach Angaben des statistischen Bundesamts (www.gbe-bund.de) ist die Anzahl der Betten in den Jahren 2016 bis 2019 (für 2020 liegen noch keine Zahlen vor) tatsächlich um mehr als 1.000 zurückgegangen (Stichwort: Pflegenotstand). Bei aller Skepsis gegenüber dem Gesundheitssystem und der Gesundheitspolitik habe ich meine Zweifel, ob dieses Argument stark genug ist, um sich auf eine rein individualistische Position zurückzuziehen.
Ich wünsche uns allen für die Adventszeit eine Entspannung der Lage. Ich versuche meine Kontakthäufigkeit zu reduzieren und hoffe gleichzeitig, dass ich das Bewusstsein dafür behalte, dass das kein erstrebenswerter Normalzustand ist.
Leseempfehlung; Philipper 2, 2-5 (Bibel)